Dushan-Wegner

09.01.2021

Wegkost für den digitalen Totalitarismus

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Foto von Patricia Jekki
Internetkonzerne, die unsere Daten als »Produkt« an den Meistbietenden verkaufen? Alter Kram. Deren neues »Produkt« ist die Macht über ganze Staaten und Völker, inklusive Ein- und Absetzung des Präsidenten.
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Dies ist keine Warnung, keine Ermahnung, kein Aufruf zur Vorsicht. Ja, wir warnten einst, dass die westliche Welt sich in Richtung eines neuen Totalitarismus bewegt, einer totalen Gedankenkontrolle, einer Auflösung der Demokratien und Machtübernahme der Konzerne. Es ist nicht zum ersten Mal, dass wir einzig darin irrten, dass wir meinten, es würde noch deutlich länger dauern, bis es soweit wäre.

Trump wurde am 8.1.2021 auf Twitter gesperrt, zuvor auch auf Facebook. Twitter und Facebook hatten vor der US-»Wahl« für Biden & Sohn unvorteilhafte Nachrichten blockiert (theguardian.com, 15.10.2020). Zuckerberg spendete Hunderte Millionen Dollar, mit denen die umstrittenen Briefwahlen erst möglich wurden (gpb.org, 12.1.2021). Jetzt sperren sie Trump und prominente konservative Accounts (siehe etwa oann.com, 8.1.2021) – wohlgemerkt während sie auch weiterhin wenig Probleme mit iranischen Aufrufen zur Zerstörung Israels oder der Propaganda tatsächlicher Diktaturen haben.

Der gewählte Präsident der USA und seine prominentesten Anhänger konnten in der Vergangenheit auf Ausweichsplattform umziehen, doch Google hat etwa die App »Parler« aus seinem App-Store genommen, Apple wird vermutlich bald nachziehen. Die Medienkonzerne haben die Macht über die USA übernommen – und sie werden bald nach der ganzen Welt greifen.

Wer die Information kontrolliert, kontrolliert den Staat. Es passiert nicht zum ersten Mal in der Geschichte, dass der Angriff auf ein Regierungsgebäude genutzt wurde, um eine totalitäre Herrschaft zu errichten. Twitter und Facebook haben sich zu Herrschern über die USA erklärt. Was mit einigen vernetzten Forschercomputern und einer Website zur Bewertung von Fotos von Zuckerberg Kommilitoninnen begann (»Facemash«), mündete erstweilig in einer Herrschaft der Konzerne – und die verkaufen bekanntlich ihr Produkt an den Meistbietenden. Wer einen Präsidenten verstummen lassen kann, wer alle schlechten Nachrichten über einen Kandidaten zensieren kann, wer einen Wahlkampf durch Kontrolle der Informationen nach eigenem Gusto steuern (und mit Spenden auf anderer Schiene nachhelfen) kann, der hat die Macht über ein Land »zum Produkt verpackt«. Wissen Sie noch, als wir empört waren, dass die Internetkonzerne ihre Produkte, unsere Daten, an den Meistbietenden verkauften? Das neue »Produkt« der Social-Media-Konzerne ist nichts weniger als die Macht über ganze Staaten und Länder, inklusive Ein- und Absetzung des Präsidenten. (Ich kann gut verstehen, dass China sowohl Facebook als auch Twitter verbietet – aber sehr fleißig nutzt.)

In einem meiner frühesten Blogtexte sprach ich von Akif Pirinçci (»Erst war Akif dran«, 13.12.2016). Darin schreibe ich:

Erst war Akif Pirinçci dran. Sie verbreiteten im Fernsehen eine Lüge über ihn, und dann verbrannten sie seine Bücher. Digital. Heute verbrennt man Bücher digital. Zwei, drei Klicks – fort. Es braucht viel weniger als 451 Fahrenheit. Bits und Bytes hinterlassen keine Asche.

Jener Text ist inspiriert vom Niemöller-Zitat »Als die Nazis die Kommunisten holten«. Er schließt mit diesem Aufruf: »Wo wollen Sie stehen? Den Mund halten und wegschauen, oder alles riskieren und die Stimme erheben? Ich kann verstehen, wenn Sie sich wegducken, aber seien Sie ehrlich zu sich selbst.«

Nun, einige von uns haben die letzten Jahre viel riskiert und die Stimme erhoben. Einige zahlten bitter. Einige wechselten die Seiten, in die eine wie in die andere Richtung. Einige wechseln sie heute, zu Beginn der Jahres 2021 – es ist traurig anzuschauen, aber menschlich und verstehbar.

Ich schrieb 2016, vor der Wahl, den Essay »Warum ich Trump wählen würde«. Jenen Text beendete ich so:

Amerikas Stärke wird ganz wesentlich gespeist vom Bild, das die Amerikaner von sich selbst haben. Die Welt braucht ein starkes Amerika. Trump wäre besser für das Selbstbild ›normaler‹ Amerikaner. Deshalb würde ich Trump wählen.

Ich würde wieder Trump wählen, ja, auch im Nachhinein. Trump stärkte Minderheiten (deshalb stimmten so viele 2020 für ihn), er motivierte eine schnelle Entwicklung des Impfstoffs (Journalisten verhöhnten ihn, als er den Impfstoff zum Jahreswechsel versprach), er brachte Arbeitsplätze in die USA zurück, die Obama längst aufgegeben hatte, er konfrontierte Iran und China (nach einigen Meinungen der wahre Grund, warum er so bekämpft wurde), er brachte zarten Frieden und ernsthafte Annäherung in den Nahen Osten (woran seine Vorgänger gescheitert waren) – und jetzt macht der Sumpf ihn eben fertig.

Konzerne agieren lange schon über Staatsgrenzen hinweg, und 2021, mit einem merkwürdigen »Sturm aufs Capitol« als Vorwand ist das Machtverhältnis, zumindest in der westlichen Welt, wohl endgültig gekippt – und was noch an Rest-Demokratie vorhanden ist, wird auch geschleift werden.

Der Dilbert-Erfinder Scott Adams notiert:

Dies war das Jahr, in welchem die Fake News so mächtig wurden, dass sie dir sagen konnten, dass es definitiv keinen Wahlbetrug gab, weil es dir nicht erlaubt war, selbst nachzuschauen. Und es funktionierte.  (@ScottAdamsSays, 8.1.2021, meine Übersetzung)

Seit 2019 schon arbeitet Pelosi (die nebenbei von deutschen Mainstream-Medien unberichtet einen tatsächlichen De-Facto-Coup gegen Trump anleitet, siehe wsj.com, 8.1.2021) am benannten »H.R. 1—the For the People Act of 2019«, der hinter orwellschen Formulierungen wie »strengthen our democracy by making it easier to vote« (siehe brennancenter.org) es nur halbherzig zu verstecken scheint, dass Wahlbetrug in den USA einfacher würde (so etwa heritage.org).

In Deutschland stellen Ministerien und Parteibosse derweil ganz offen Forderungen auf, die selbst vielen Diktatoren alter Schule zu dreist wären. Die Justizministerin will Internetplattformen verpflichten »gegen Lügen konsequent vorzugehen« (@BMJV_Bund, 7.1.2021), und auch der CSU-Chef will »unsere Demokratie schützen«, und also müssen »Fake News und Verschwörungstheorien« »aufhören« (@Markus_Soeder, 8.1.2021). Wer aber legt fest, was »die Wahrheit« ist? Im Dezember schrieb ich vom »Wahrheitsministerium«, das in Brüssel eingerichtet wird. Die Politiker reden und fordern sehr böse, anti-demokratische Dinge, doch wenn sie meinen, langfristig ihre Macht dadurch zu stärken, sind sie geradezu lächerlich naiv. Wenn naive europäische Politiker die Macht über Deutschland und die EU an die Internetkonzerne und ihre Agenturen übertragen, warum sollten diese sie zurückgeben?! 

Am Rande, die angeblichen »Lügen« und die »offizielle Wahrheit« betreffend: Haben Sie von den Szenen gehört, als Trump-Anhänger am Capitol einige der Aggressoren als Antifa ausmachten und zurückholten? Hier ein Video: ntd.com, 7.1.2021. Konzern- und Staatsmedien behaupten derweil das Gegenteil, etwa cnn.com, 8.1.2021, verneinen kategorisch, dass unter den teils sehr »aufstand-erfahren« wirkenden, schwarzgekleideten Typen auch »Antifa mit MAGA-Kappen« gewesen sein könnten – wohlgemerkt während Medien etwa Interviews und Berichte mit einem stramm linken Black-Lives-Matter-Aktivisten verbreiten, welcher selbst im Capitol dabei gewesen war (siehe etwa kutv.com, 7.1.2021 und YouTube/Eyewitness News)! Die offizielle »Wahrheit« und das, was passierte, können sehr verschiedene Dinge sein – wie wir in Deutschland etwa im Fall der Chemnitz-Lüge erlebten.

Eines der erschreckendsten Phänomene des Stalinismus war, so habe ich gehört, wie viele Bürger gern und willig mitmachten, wie viele Bürger ihre Nachbarn denunzierten und Stalin aus echter Überzeugung zujubelten. (Bezüglich heutigen Linken und Stalin siehe etwa @bodoramelow, 9.10.2012 (archiviert) oder @sixtus, 7.1.2021 (archiviert) – es klingt, als ob sie jenes Monster noch immer verehrten.)

Eines der erschreckendsten Phänomene des Dritten Reiches war, so habe ich gehört, wie viele Bürger gern mitmachten, ihre Nachbarn denunzierten und Hitler aus echter Überzeugung zujubelten. Und viele derer, die nicht aktiv jubelten, schauten umso aktiver weg. (Siehe dazu auch Kempowskis »Haben Sie es gewusst?«, worauf ich mich im Essay »Wi(e)der die Folgsamkeit« vom 7.1.2018 beziehe.)

Eines der erschreckendsten Phänomene des neuen, diesmal globalen und digitalen Totalitarismus ist, so stelle ich erschrocken aber nicht überrascht fest, wie viele Bürger gern und geradezu euphorisch mitmachen, Andersdenkende gern an die neuen, »privaten« Sicherheitsbehörden melden und aus voller Überzeugung jubeln, wenn ihre politischen Gegner digital und medial vernichtet werden und verschwinden. Und viele jener, die nicht mitmachen, zucken mit den Schultern, schauen desinteressiert weg.

In Deutschland erschrecken Politiker, Staatsfunker und ihre Anhänger nicht, wenn Konzerne die Kontrolle über den Staat übernehmen – sie jubeln und fordern gleich noch mehr Unterdrückung ihrer politischen Gegner. Die Frage, wie es »damals dazu kommen«, ist beantwortet: Die Täter und ihrer Helfer hielten sich für moralisch gerechtfertigt.

In diesem Kontext, hier der Wunsch eines deutschen Staatsfunkers, alle jene Politiker weltweit, die er als »Populisten« ausmacht, mögen zum Verstummen gebracht werden:

Bin gespannt, ob #Twitter die selben Maßstäbe anlegt. Und nicht nur  #Trump sperrt, sondern all die Populisten weltweit mit Macht. (@gaborhalasz1, 8.1.2021)

Wohlgemerkt: Weltweit! – Mein tschechischer Großvater zitierte gelegentlich zur Erinnerung eine deutsche Liedzeile aus der dunklen Zeit, und wenn man das Verb »gehören« in jener Liedzeile gegen ein anders austauscht, dann heißt es: »Heute zensieren wir Deutschland, morgen die ganze Welt!«

Es sind ja nicht nur Deutschland, die EU und die USA, wo Medien die Macht übernehmen (teils selbst wiederum im Auftrag mal dieser und mal jener Macht). In Hongkong etwa hat aktuell der öffentliche Sender Radio Television Hong Kong die Angestellten daran erinnert, keine Interviews mit zuvor verhafteten Politik-Aktivisten zu führen (hongkongfp.com, 8.1.2021). In Deutschland mit seinem Staatsfunk, der nicht »Staatsfunk« genannt werden will, und den von der Regierung co-finanzierten Zeitungen, die sich – vielleicht in Selbstironie? – »unabhängig« und »privatwirtschaftlich« nennen, wird über die Opposition gesprochen (praktisch ausnahmslos maximal negativ), sie selbst aber soll nicht zu Wort kommen (siehe etwa Julian Reichelt, zitiert nach jungefreiheit.de, 13.7.2020: »Ein klassisches Interview mit der AfD wird bei uns also nicht stattfinden.« Auch während des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2021 werde die AfD beim TV-Format des Springer-Mediums außen vor bleiben, betonte Reichelt.«). 

Es ist vorbei. Das Zeitalter der Demokratien ist vorbei. Kurzsichtige, gewissenlose Journalisten sowie die verirrten Opfer der Propaganda jubeln, doch dass totalitäre Regime anfangs bejubelt werden, auch das hat gute Tradition. Der digitale Totalitarismus wird nicht bald beginnen – er hat bereits begonnen! Dies sind die ersten Meilen eines ganz neuen Weges. Wohl dem, der sich genug Wegkost für die Seele zurechtgelegt hat!

Das neue Zeitalter hat begonnen. Dies ist das Zeitalter der Konzerne (und der wie Konzerne denkenden Staaten, z.B. China). Die Macht über ganze Staaten ist einfach nur ein weiteres Produkt im Angebotskatalog der digitalen Konzerne.

Meine Familie hat zwei totalitäre Systeme am eigenen Leib erlebt, viele Ihrer Familien kennen ebenfalls ein oder zwei. Jetzt hat eben das nächste begonnen.

Das eine totalitäre System haben wir überlebt, aus dem Zweiten sind wir mit Tricks und hohem Risiko ausgewandert. Dies ist ein neues System, und dieses ist global, und es baut auf die Schwächen des Menschen, also könnte es sehr stabil sein.

Wenn Sie sich selbst über ihre Rolle als Bürger einer Demokratie definieren, dann haben Sie ein Problem. Jedoch, wenn man Glück hat und die »richtige« Diktatur erwischt, dann kann man auch in einer Diktatur ein Leben leben, dass sich »glücklich« nennen lässt. (Tipp: Der nächste Stammtisch der deutschen Community von Shanghai ist am 31. Januar 2021, siehe Meetup – allesamt wohl Leute, die freiwillig und vermutlich gern in China leben.)

Ich habe mir vor gefühlten Jahrtausenden (wie die Zeit rast!) selbst den »Auftrag« gegeben, meine Mitmenschen davon zu überzeugen, in sich zu gehen und festzustellen, was ihnen selbst wirklich wichtig ist (ich nannte es »relevante Strukturen«), und ihr Leben um die Ordnung dieser »Kreise« auszurichten, denn das kommt dem gleich, was wir »Glück« nennen.

Die Demokratie fällt mit dem Anbruch des digitalen Totalitarismus aus den relevanten Strukturen heraus – alle anderen »Kreise« aber, ob Familie, Einkommen, ob Zuhause und »Innenhof«, ob Freundeskreis oder die ganz persönliche, körperliche wie nicht minder geistige Gesundheit, die bleiben.

Es gilt also, ob in der Demokratie oder im digitalen Totalitarismus: Ordne deine Kreise – und mache dir sehr genau bewusst, was und wer deine »Kreise« wirklich sind.

Weiterschreiben, Wegner!

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